Antrag an den Gemeinderat zum Thema „Wohnen in Radolfzell“

09.07.2021

Das FRAUENNetzwerk Radolfzell hat sich mit der Wohnraumsituation unserer Stadt befasst und will den Gemeinderat und den Oberbürgermeister insbesondere auf die Lage der Frauen aufmerksam machen.

Der Bedarf an kleineren alters- und behindertengerechten Wohnungen ist sehr groß. Von der Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage sind vor allem Frauen betroffen (Demographie und Einkommensentwicklung).

Deshalb stellen wir den Antrag an die Fraktionen des Gemeinderats:

Der Gemeinderat möge sich dem Thema Wohnungsmarkt und den städtischen Möglichkeiten der Einflussnahme befassen und dringend Abhilfe schaffen.

Zur Lage:

Der Mangel an günstigem Wohnraum in Radolfzell ist unbestritten. Der Gesamtbestand an Sozialwohnungen beträgt 0,41% der vorhandenen Wohnungen; von den 65 Sozialwohnungen werden 47 von den Genossenschaften verwaltet. Die Wartelisten sind sehr lang: über 1000 Haushalte warten oft mehr als 5 Jahre auf die Zuteilung einer angemessenen Wohnung. Personen mit unterdurchschnittlichem Einkommen finden auf dem freien Markt keine Wohnung und sehen sich gezwungen, ins Umland abzuwandern.

Zwar existiert ein Beschluss des Gemeinderates aus dem Jahr 2017, dass 30% der Neubauwohnungen geförderter Wohnraum sein soll und davon 10% mit besonders günstigem Wohnraum, aber dieser Beschluss war in der Vergangenheit kaum wirksam, weil die Investoren sich nicht auf diese Vorgaben einließen und die Projekte nicht realisiert werden konnten. Außerdem ist die Sozialbindung zeitlich so befristet (10 bis 30 Jahre je nach Vertrag und Fördermaßnahme). Danach fallen für diese Wohnungen automatisch marktübliche Mieten an.

Die vollendeten Baumaßnahmen richteten sich fast ausschließlich an eine andere Zielgruppe. Es entstanden vornehmlich sehr große Wohnungen (ca. 100 m2) mit überdurchschnittlichen Mieten, die Zuzüge wegen der topographischen Lage zur Folge hatten. Erfreulicherweise sind in jüngster Zeit Planungen begonnen worden, die den Miet- und sozialen Wohnungsbau berücksichtigen.

Die Senioren stellen in der Stadt 30% der Bevölkerung; damit liegt Radolfzell leicht über dem Landesdurchschnitt. Ein weiterer Anstieg ist durch die geburtenstarken Jahrgänge der 60-iger Jahre zu erwarten, die ihre Erwerbsbiographien demnächst beenden werden. Der Wohnraumanalyse der Stadt Radolfzell ist zu entnehmen, dass 39% der Haushalte Single-Haushalte sind. 72% der Einwohner leben in 1- bis 2-Personenhaushalten. Der Bedarf an kleineren alters- und behinderten-gerechten Wohnungen ist sehr groß. Von der Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage sind vor allem Frauen betroffen (Demographie und Einkommensentwicklung). Familienhaushalte (29%) haben auf dem freien Wohnungs- und Immobilienmarkt derzeit sehr schlechte Chancen. Wohnungs- und Häusertauschprogramm lassen sich ohne eine Koordinationsstelle kaum realisieren. Die Bereitschaft zu Wohnungstausch ist bei den in Radolfzell aktiven Baugenossenschaften nicht ausgeprägt, da der Bestand zu gering ist. Er wird aber z.B. in Konstanz von der WOBAK schon praktiziert, wenn auch auf einem niedrigen Niveau.

Unsere Schlussfolgerung:

Die derzeitige Bautätigkeit geht am Bedarf der ortsansässigen Bevölkerung vorbei und richtet sich an betuchte Zuzügler. Da dieser Trend sich nicht ändern wird, muss von Seiten der Stadt die Initiative ergriffen werden. Neben der Stärkung der bekannten in Radolfzell investierenden Genossenschaften kann eine städtische Wohnbaugenossenschaft oder eine Kooperation mit den oben Genannten relativ schnell Abhilfe schaffen. Bei größeren Projekten ist darauf zu achten, dass nicht nur einzelne Gebäude erstellt werden, sondern in Ensembles mit Quartierscharakter geplant wird. Der Bestand an derzeit nicht genutzten Gebäuden sollte auf die Tauglichkeit zur Umwidmung in Seniorenwohnungen bzw. WGs geprüft werden (Eigeninitiative und Freiwilligkeit sind Voraussetzung).

Wohnungs- und Häusertausch sollte gefördert und unterstützt werden. Bei den hier agierenden Genossenschaften ist diese Praxis nicht ausgeprägt, da dafür ein großer Bestand Voraussetzung ist. In anderen Städten ist dies schon der Fall.

Das Wohnungsumfeld für Frauen und Senioren sollte so gestaltet werden, dass keine Ghettos oder Angsträume entstehen. Anbindung an die örtliche Nahversorgung, Busverbindung, gewachsene oder neu entstehende Nachbarschaften und Zugang zu Grünflächen sind wichtig, Angliederung an Tagespflegeinrichtungen und Sozialstation sinnvoll. Alters- und behindertengerechtes Wohnen ermöglicht die von den meisten Menschen gewünschte Selbständigkeit. Damit wird die Zahl der benötigten stationären Pflegeplätze reduziert.

Nach Fertigstellung des Neubaus des Pflegeheims der Hl. Geist-Stiftung auf der Mettnau, könnte ein Etappenziel durch die Umwidmung der bisherigen Anlage in Senioren-WGs und ein innerstädtisches Bürgerhaus erreicht werden.

Mit freundlichen Grüßen

Das FRAUENNetwerk RADOLFZELL